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Bundesstadt Bonn

Marie-Elisabeth Lüders

(1878 bis 1966) - Bonner Frauen(orte):
Ehemaliger Bundestag: Platz der Vereinten Nationen; Marie-Elisabeth-Lüders-Straße

„Für das Recht aller Frauen, vollgültiger Mensch sein zu dürfen.“

Porträt von Marie-Elisabeth Lüders

„Die Ausschließlichkeit, mit der die Männer die Rege­lung von allem und jedem auf der Welt einzig und allein nach ihrem Willen beanspruchen, ist tatsächlich unerträglich.“ (1929)

„Frausein heißt politisch sein. Unser ganzer Alltag ist von der ersten bis zur letzten Stunde Politik.“ (1947)

„Frauenfragen sind Menschheitsfragen.“ (1953)

Marie-Elisabeth Lüders war eine Frau, die Ende des 19. Jahrhunderts den Mut aufbrachte, sich gegen alle Konventionen ihrer wohlbehüteten Bürgerwelt zu stellen, um für die Rechte der Frauen zu kämpfen. Den Kampf für die Gleichberechtigung der Frauen trug sie vom Kaiserreich über die Weimarer Republik und die nationalsozialistische Diktatur bis in die frühe Bundesrepublik aus. Sie war eine Pionierin, die den Frauen Zugang zu neuen, zuvor verschlossenen Räumen erstritt. Im Nachruf auf sie 1966 schrieb die Zeit: „Das Leben dieser Frau war dem Kampf gegen männliche Suprematie gewidmet.“

Von 1953 bis 1961 war sie Alterspräsidentin des Deutschen Bundestages in Bonn. Sie setzte sich intensiv für die Anpassung aller widersprechenden Gesetze an den Gleichberechtigungsartikel des Grundgesetzes ein. Aber auch bei allen anderen im Bonner Parlament zur Debatte stehenden Fragen hatte ihre Stimme Gewicht.

Nach dem Abschluss ihres Studiums mit der Promotion zum Dr. rer. pol. 1912 als erste Frau in Deutschland widmete sich die Berliner Geheimratstochter der Sozial- und Frauenarbeit. Auf diesem Gebiet war sie bis 1922 in leitenden Funktionen tätig. Als nach dem ersten Weltkrieg 1919 die Frauen das aktive und passive Wahlrecht erhielten, wurde sie in die Nationalversammlung und später in den Reichstag gewählt als Mitglied der Deutschen Demokratischen Partei (DDP). 1922 brachte sie einen Sohn zur Welt, den sie allein aufzog. 1937 wurde sie als politische Gefangene vier Monate inhaftiert. Bis zum Ende des Nazi-Regimes lebte sie aus Angst vor weiteren Repressalien zurückgezogen, teilweise in Süddeutschland. 1947 kehrte sie nach Berlin zurück und übernahm von 1948 – während der Blockade West-Berlins durch die Sowjetunion und der Luftbrücke der Westalliierten – bis 1951 das Amt der Stadträtin für Sozialwesen, als welche sie sich große Verdienste um den Wiederaufbau der Fürsorge und der ärztlichen Versorgung in der zerstörten Stadt erwarb. In der zweiten und dritten Legislaturperiode vertrat sie die FDP als Berliner Abgeordnete im Deutschen Bundestag und prägte damit die junge Bonner Republik.

Es ging ihr nicht um ihre persönlichen Befindlichkeiten, wenn sie die damalige Bundes­hauptstadt Bonn als „Provisorium“ bezeichnete. Ihr höchstes Ziel war die Wieder­vereinigung Deutschlands, als wesentliche Voraus­setzung für weltweiten Frieden, und eine damit verbundene Rückkehr von Parlament und Regierung in die alte Reichs­haupt­stadt Berlin, der „angestammten Heimat der deutschen Volks­ver­tre­tung“. In ihrer Eröffnungsrede des zweiten Bundestages 1953 versicherte sie: „Wir haben noch kein gesamtdeutsches Parlament; aber wir werden es bekommen.“ Sie äußerte die Hoffnung, „daß der nächste Alterspräsident in der früheren Hauptstadt Berlin wieder den Deutschen Reichstag – oder wie immer er heißen mag – wird eröffnen können“. 

Die SPD-Politikerin Herta Gotthelf charakterisierte Lüders 1958 anlässlich ihres 80. Geburtstags: „Sie war bekannt und gefürchtet wegen ihrer von großer Sachkenntnis getragenen Schlagfertigkeit. Sie ist ein im besten Sinne freiheitlicher Mensch und ver­körpert jenen deutschen Liberalismus, der leider niemals sehr stark im deutschen Volke verankert war. Ihre Integrität, ihre Selbstzucht, ihre völlige Hingabe an ihre Arbeit zwin­gen selbst ihren Gegnern Achtung ab. Marie-Elisabeth Lüders ist aber noch mehr: als sie im April vorigen Jahres Louise Schröder zu ihrem 70. Geburtstag gratulierte, tat sie das mit so viel menschlicher Wärme und mit fast einem mädchenhaften Charme, den man sonst hinter ihrer äußeren Herbheit gar nicht vermuten würde. Dabei hat sie jahr­zehn­te­lang in aller Stille in ihrem persönlichen Leben bewiesen, daß man nicht nur soziale Theorien haben, sondern sie auch in die Praxis umsetzen soll. Unter den Frauen­persön­lich­keiten der Bundesrepublik ist Marie-Elisabeth Lüders unbestritten die hervor­ragendste.“

Text: Ulrike Klens