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Bundesstadt Bonn

Helene Wessel

(1898 bis 1969) - Bonner Frauen(orte):
Bundestag; Bismarckstr. 25 (zur Miete seit 1949); Joachimstraße 14 (im eigenen Haus seit 1958); Südfriedhof

Politikerin mit dem Mut einer Suffragette und dem Herzen einer Frau.

Nachruf des Bundestages
Helene Wessel

„Frauen müssen sich in die staatsbürgerlichen Aufgaben bewusst und freudig einmischen.“ (1930) 

„Das Leben ist Kampf – siege!“ (1956) 

„Wir wollen eine Gesellschaft­sordnung schaffen, in deren Mittelpunkt der Mensch steht.“ (1960)

Die Politikerin Helene Wessel ist heute fast vergessen, dabei war sie eine „der bedeutendsten Politikerinnen der Nachkriegszeit“ (Friese, S. 288) und eine „der ungewöhnlichsten Frauen des politischen Lebens in Deutschland“ (SZ 14.10.1969). In den fünfziger Jahren war sie überaus bekannt. In der Presse wurde sie als „fromme Helene“, „Hausdrache“, „schwarzer Dragoner“ und „Kommandeuse“ tituliert. Sie war eine streitbare Frau, die ihren Standpunkt mit einer Konsequenz vertrat, die persönliche oder interfraktionelle Rücksichten nicht zu kennen schien und sich nur ihrem eigenen Gewissen verpflichtet fühlte, selbst wenn es für sie unbequem wurde. 

  • Als überzeugte Katholikin trat sie nach dem Krieg nicht in die CDU ein, sondern war eine namhafte Gegnerin von Adenauers Regierungspolitik.
  • 1948/49 arbeitete sie im Parlamentarischen Rat als eine von vier Frauen am Grundgesetz mit, stimmte dann aber gegen den endgültigen Entwurf.
  • Sie stand als erste Frau in der Bundesrepublik an der Spitze einer Partei. 1949 wurde sie Partei- und Fraktionsvorsitzende des Zentrums, das sie mit aller ihr zur Verfügung stehenden Kraft aufgebaut hatte, mit dem sie aber 1952 brach.
  • Mit Gustav Heinemann gründete sie 1952 die Gesamtdeutsche Volkspartei, die gegen die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik eintrat, doch scheiterte.
  • 1957 bis zu ihrem Tod vertrat sie die SPD im Deutschen Bundestag. Dort kämpfte sie gegen die atomare Aufrüstung der Bundeswehr. 1968 stimmte sie in ihrer Fraktion in der Minderheit gegen die Notstandsgesetze.
  • Sie stand für ein konservatives Familienkonzept, lebte selbst aber mit ihrer Lebensgefährtin Alwine Cloidt zusammen.

Antje Dertinger schrieb über sie:  „Eine Frau voller Widersprüche? – Keineswegs. Aber eine Persönlichkeit mit Grundsätzen“.

Schon Anfang der sechziger Jahre war sie in der Öffentlichkeit nicht mehr so präsent. So musste sie den Acht-Uhr-Nachrichten des WDR am 7. August 1962 entnehmen, dass sie am selben Tage in Recklinghausen beerdigt werden würde. Sie war mit der CDU-Bundestagsabgeordneten Helene Weber verwechselt worden. (Spiegel 32/1962) 

Im Laufe ihres Lebens erlebte Helene Wessel die Monarchie des Kaiserreichs, die Weimarer Republik, die nationalsozialistische Diktatur und die parlamentarische Demokratie der Bundesrepublik sowie beide Weltkriege. Ihre beiden politischen Karrieren in der Weimarer Republik und in der Bundesrepublik machte sie zu einer Zeit, als Frauen in der Politik eine große Ausnahmeerscheinung waren. 

Text: Ulrike Klens