Die unerschrockene Kämpferin für Frauen- und Homosexuellenrechte
Johanna Elberskirchen wurde am 11. April 1864 in der Bonner Sternstraße 195 (heutige Hausnummer 37) geboren. Die Familie betrieb einen kleinen Kolonialwarenladen und hatte insgesamt fünf Kinder. Ihr früher Wunsch nach Bildung wurde von ihrer Familie eher als männlich eingestuft und brachte ihr den Spitznamen „Hannes“ ein. Sie besuchte eine höhere Töchterschule und machte Abitur. Danach ging sie zunächst für einige Jahre nach Rinteln (Westfalen) und arbeitete dort als Buchhalterin. „Sieben Jahre ging ich in diese Tretmühle“ sagte sie selbst, „dann emancipierte ich mich und sprang in die akademische Bahn.“
Studienjahre in der Schweiz
Weil Frauen zur damaligen Zeit an deutschen Hochschulen nicht zum Studium zugelassen wurden, ging sie nach Bern, um Medizin zu studieren. Um der Frauenwelt aber mehr dienen zu können wie sie selbst sagte, wechselte sie zu Rechtswissenschaft und Volkswissenschaft in Zürich.
In der Schweiz begann sie sich für Lohnarbeit von Frauen und den Schutz von Arbeitnehmerinnen zu engagieren, trat in die sozialdemokratische Partei ein und verfasste leidenschaftliche Schriften für die Rechte der Frauen, zunächst unter dem Pseudonym 'Hans Carolan', später unter ihrem eigenen Namen. In der Schweiz lernte sie auch ihre langjährige Lebensgefährtin Anna Aebi-Eysoldt kennen und lieben. Diese Verbindung gab ihrem Leben unerwartete Wendungen, denn Anna Eysoldt war mit einem Rechtsanwalt verheiratet, der den beiden Frauen fortan das Leben schwer machte.
1896 hatte eine Vergewaltigung stattgefunden durch Karl Moor, einer zentralen Figur der schweizerischen Sozialdemokratie. Doch die Genossen und Genossinnen wollten dieses Verbrechen unter den Teppich kehren. Johanna Elberskirchen protestierte dagegen lautstark, auch schriftlich und öffentlich, womit sie sich viele Feinde machte. Unter denen, die Karl Moor die Treue hielten, war auch Anna Eysoldts Ehemann: Ernst Aebi.
Ernst Aebi und Anna Eysoldt hatten eine schwierige, komplizierte Ehe geführt, worüber Anna Eysoldt schwer erkrankt war. Stabile Männerseilschaften machten einen fairen Scheidungsprozess unmöglich, und damals gab es noch die Schuldfrage bei Scheidungen zu klären. Johanna Elberskirchen mischte sich öffentlich in dieses Scheidungsverfahren ein. Es folgten Anschuldigungen wegen Erpressung und versuchten Betrugs, verbunden mit hohen Geldforderungen von Seiten Ernst Aebis bis hin zu einem Haftbefehl gegen Johanna Elberskirchen, so dass die beiden Frauen letztendlich gezwungen waren, aus der Schweiz zu fliehen. Johanna Elberskirchens Studium blieb so ohne Abschluss.
Zurück in Bonn
Die beiden Frauen zogen gemeinsam nach Bonn und lebten hier von 1901 bis 1913, dem Jahr, in dem Anna Eysoldt verstarb. Johanna Elberskirchen schloss sich in Bonn wieder der Sozialdemokratie an und gleichzeitig auch dem Verband für Frauenwahlrecht. Sie setzte sich damit sozusagen zwischen die Stühle und so blieb es auch zeitlebens. Sie eckte überall an. Allein der folgende Satz zeigt schon, in welchem Spannungsverhältnis sie sich bewegte:
„Der reine Feminismus ist (nolens volens) radikal. Notwendig schließt er (…) Mäßigung, Beschränkung, Halbheit aus. Feministisch sein heißt keineswegs à tout prix ein Recht für eine kleine Anzahl Frauen auf Kosten der anderen Frauen ergattern zu wollen – feministisch sein, das heißt immer nur für Gesamt-Befreiung des gesamten weiblichen Geschlechts zu kämpfen.“
Den Feministinnen war sie zu sozialistisch, den Sozialdemokraten war sie zu feministisch. Die Sozialdemokraten hielten es für nicht vereinbar, dass sie gleichzeitig auch in einer anderen Vereinigung für das Frauenwahlrecht kämpfte. Sie schlossen sie aus der Partei aus.
Sie verfasste zahlreiche kämpferische Zeitungsartikel und Bücher zu feministischen und sozialdemokratischen Themen. Ihre Themenschwerpunkte waren Aufhebung des Verbotes des Frauenwahlrechts, Frauenstudium, Gewalt gegen Mädchen und Frauen, Mutterschaft und Kinderheilkunde, geschlechtsspezifische Erziehung und Bildung sowie sexualreformerische Themen in Bezug auf Ehe, Prostitution, Heterosexualität und Homosexualität. Mit scharfem Verstand analysierte und kritisierte sie die politischen und gesellschaftlichen Machtverhältnisse, den Antifeminismus und die Frauenfeindlichkeit. Sie nahm kein Blatt vor den Mund und prangerte unerschrocken und wortgewaltig bestehende Missstände an.
Besonders hervorzuheben ist ihr 'Coming Out' im Jahre 1904. Als der SPD-Politiker Wowereit 2001 seinen berühmt gewordenen Satz („Ich bin schwul – und das ist auch gut so“) sagte, so erforderte dies gewiss einiges an Mut. Man stelle sich aber die Reaktionen vor, als Johanna Elberskirchen ihren Satz fast 100 Jahre früher schrieb: „Sind wir Frauen der Emanzipation homosexual – nun, dann lasse man uns doch! Dann sind wir es doch mit gutem Recht. Wen geht’s an? Doch nur die, die es sind.“
Weiter schrieb sie: „Ich protestiere dagegen, dass der Homosexuale eo ipso als Psychopath, als entartetes, demoralisiertes, minderwertiges Subjekt gebrandmarkt wird. (…) Fort mit allen durch Heuchelei oder Unwissenheit oder Arroganz gesetzten Suggestionen. Man messe den Homosexualen sozial mit demselben Maß wie den Heterosexualen. (…) Man gebe dem Homosexualen was ihm gehört: Seinen vollen Menschheitsrang!“
Die Berliner Jahre
1913 zog Johanna Elberskirchen nach Berlin um und arbeitete im medizinischen Bereich, wo sie später auch ihre neue Lebensgefährtin Hilde Moniac kennenlernte. Die beiden Frauen kauften gemeinsam ein Haus in Rüdersdorf bei Berlin, wo Johanna Elberskirchen eine homöopathische und naturheilkundliche Praxis betrieb. Sie blieb auch in Berlin weiterhin politisch aktiv und trat dort auch wieder in die Sozialdemokratische Partei ein. Zudem wurde sie Mitglied der 'Weltliga für Sexualreformen', die der Sexualwissenschaftler Magnus Hirschfeld 1896 gegründet hatte und die auch für die Rechte homosexueller Menschen kämpfte. Johanna Elberskirchen trat als Rednerin der Weltliga auf den Kongressen in Kopenhagen, London und Wien auf.
Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten fiel sie unter das Berufsverbot für weibliche Mediziner und durfte nur noch eingeschränkt praktizieren. Ihr Buch „Die Liebe des dritten Geschlechts“ wurde auf die Liste des „Schädlichen und unerwünschten Schrifttums“ gesetzt. Fortan veröffentlichte sie nichts mehr.
Johanna Elberskirchen starb verarmt am 17. Mai 1943 in Rüdersdorf und geriet zunächst leider weitgehend in Vergessenheit.
Beinahe von der Zeit verschluckt
Erst in den 1980er Jahren stießen einige Wissenschaftlerinnen wieder auf ihren Namen und machten sich auf Spurensuche nach ihr. Die umfassendsten Recherchen machte Christiane Leidinger und hielt die Ergebnisse fest in ihrem Buch: „Keine Tochter aus gutem Hause“.
Über die Recherchen erfuhr sie auch von einem Ereignis, das 32 Jahre nach dem Tod von Johanna Elberskirchen stattgefunden hatte und das so außergewöhnlich war wie ihr Leben. In einer anrührenden Nacht- und Nebelaktion bestatteten zwei Frauen, die es vorziehen anonym zu bleiben, 1975 die Urne von Johanna Elberskirchen im Grab ihrer letzten langjährigen Lebensgefährtin, Hildegard Moniac, auf dem Friedhof in Rüdersdorf bei Berlin. „Die Urne von Frau Elberskirchen liegt im Grab von Frau Moniac“ verkündete eine der beiden Frauen ganz am Ende des letzten Interviews, das Frau Leidinger mit ihr geführt hatte. Das Grab steht seit 2002 unter Schutz.
Im Jahr 2006 wurde auf Bestreben der Bonner Lesben in Zusammenarbeit mit der SPD-Stadtverordneten Erika Coché, der Berliner Politologin und Autorin Christiane Leidinger und der Autorin Ingeborg Boxhammer eine Gedenktafel am Geburtshaus von Johanna Elberskirchen angebracht und feierlich eingeweiht.
Text: Monika Hennigs
Quellenangaben
Die Rechte an dem oben stehenden Text liegen beim Haus der FrauenGeschichte Bonn e.V. (Öffnet in einem neuen Tab)
- Leidinger, Christiane: Keine Tochter aus gutem Hause, Konstanz 2008
- http://www.frauenmediaturm.de/themenportraets/feministische-pionierinnen/johannaelberskirchen/
- http://www.lesbengeschichte.de/bio_elberskirchen_d.html